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Die FDP und der Antisemitismus, Mai 2002

Seit vielen Jahren verfolge ich aktiv und passiv die Politik in Deutschland. Geweckt wurde mein politisches Interesse, als Willi Brandt mit seiner Ostpolitik die Entspannung in Europa einläutete.
Selten jedoch wurde so heftig gestritten und persönlich verletzt wie in dem Streit zwischen FDP und Zentralrat der Juden, in persona Herr Möllemann und Herr Friedmann.
In den Jahren nach dem Krieg war es Konsens zwischen den Parteien, keinerlei Kritik an Juden oder dem Staat Israel zu äußern. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen, die Mitverantwortung für die Massenvernichtung von Millionen Juden trugen, nicht nur weiter in Deutschland lebten, sondern in Parteien, Vereinen und Organisation wieder das neue Deutschland mitregierten, eine verständliche und notwendige Entscheidung. In den letzten Jahren mehren sich allerdings in Deutschland auch die Stimmen, die laut Kritik an Israel üben oder gar der Meinung sind, die kollektive Schuld der Deutschen sei abgetragen. Hier möchte ich z.B. den Thesen eines Martin Walser klar wiedersprechen. Die Deutschen werden sich auch nach Generationen noch zu Ihrer Verantwortung im „Dritten Reich“ bekennen müssen. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass wir blind und taub durch die Weltgeschichte gehen müssen und Krieg, Mord und Verletzung der Menschenrechte ignorieren, wenn es sich dabei um den Nahen Osten handelt. Im derzeitigen Nahostkonflikt wird ständig das freundschaftliche Verhältnis Deutschlands zu Israel betont. Aber gerade dann ist es notwendig den Freund auf Fehler und gefährliche Entwicklungen hinzuweisen, wenn es ein muss, auch öffentlich. An dieser Stelle möchte ich Erich Böhme (Berliner Zeitung vom 25./26.05.2002) zitieren: "Israel hat Anspruch auf unsere Unterstützung, verstößt dagegen ein israelischer Ministerpräsident wie jetzt Scharon - aus welchen Gründen auch immer - gegen die Menschlichkeit und führt Vernichtungsschläge Auge um Auge, dann müssen wir uns das Recht reklamieren, ihm in den Arm zu fallen"
Der Krieg in Israel hat viele Ursachen: Die Gründung des Staates Israel in Palästina als Folge der Vertreibung der Juden aus Europa, die Kampfansage der arabischen Welt gegen das Existenzrecht Israels, dem Sechstagekrieg 1967 u.a.m. Aus meiner Sicht hat Israel den Bogen jedoch weit überspannt, indem es in den folgenden Jahren nahezu alle UN-Beschlüsse zum Nahen Osten ignoriert hat und statt dessen auf fremden besetzten Terretorium eine ausgesprochen aggresive Siedlungspolitik forciert hat. Interessant ist auch, wie Eingeweihte, die an den Verhandlungen zwischen Barak und Arafat in Camp David teilgenommen haben, die damalige Situation einschätzen (Berliner Zeitung vom 27.05.2002). So schreibt Malley, ein Mitglied des US-Teams in Camp David: Arafat hatte nicht die Absicht, den Gipfel scheitern zu lassen. Nach seinem Amtsantritt hätte Barak in den Verhandlungen immer neue Forderungen gestellt, den Siedlungsbau forciert sowie eine Reihe israelischer Verpflichtungen nicht erfüllt. Der damalige israelischen Justizminister wird mit den Worten zitiert: „Die Palästinenser fühlten sich hereingelegt, erniedrigt und ausgetrickst“. Es wundert mich nicht, dass die Palästinenser, wie ein in die Ecke gedrängtes Tier und anderer Möglichkeiten beraubt, im Terror einen Ausweg suchen. Ich will hier auf keinen Fall den Terrorismus rechtfertigen oder gar für Verständnis werben, aber als Physiker suchen ich allen Erscheinungen nach Ursache und Wirkung.
Möllemann hat nun genau auf diesen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, nur hat den Fehler begangen, Verständnis für die Selbstmordattentäter einzufordern, wo es moralisch kein Verständnis geben kann. Die Aufnahme Karlis in die FDP hat den schon schwelenden Konflikt vollends zugespitz. Der Vergleich des israelischen Vorgehens mit Nazi-Methoden, den Karsli angestellt hat, ist schwer zu entschuldigen, aber als gebürtiger Syrer ist er vom Nahostkonflikt stärker betroffen als jeder von uns und reagiert daher emotionaler als wir es tun würden. Dies müsste auch dem Zentralrat der Juden in Deutschland verständlich sein. Anstatt sich sachlich mit den beteiligten auseinanderzusetzen, geht der Konflikt in die nächste Runde. Die Reaktion von Herrn Friedmann verbunden mit dem Vorwurf, Möllemann sei ein Antisemit, ist übertrieben gewesen und war nicht dazu angetan, die Situation zu entschärfen. Das Problem ist, dass niemand aus dem Zentralrat der Juden bereit ist, sich sachlich mit der Kritik an der israelischen Außenpolitik auseinanderzusetzen und statt dessen jede Kritik am Staat Israel oder dessen Vertretern sofort als Antisemitismus zurückweist. Zu Recht stellt Werner Bergmann in seinem Gespräch mit der Berliner Zeitung (24.05.2002) fest, dass der Vorwurf des Antisemitismus nicht inflationär verwendet werden darf und sich Israel gern "auf diese Weise gegen Kritik immunisieren möchte". Diese intollerante Haltung findet außerhalb der offiziellen politischen Kreise wenig Verständnis in Deutschland. Das glaube ich, aus vielen Gesprächen mit Freunden, Bekannten, Kollegen sowie aus aus Leserbriefen in verschiedenen Zeitungen beurteilen zu können. Diesen Aspekt meint Herr Möllemann, wenn er behauptet, Herr Friedmann fördere durch sein Verhalten den Antisemitismus. So ungeheuerlich diese Behauptung auch ist, solange sich der Zentralrat der Juden nicht unvoreingenommen und ehrlich der israelischen Politik stellt, ist sie leider nicht von der Hand zu weisen.
Es ist leider nicht so, dass es nur uns Deutschen mit Blick auf unsere Geschichte verwehrt wird, Stellung im Nahostkonflikt zu beziehen. Nein, auch jüdische Journalisten der Zeitung „Haaretz“ werden für Ihre Berichte über den Alltag der Palästinenser und die Folgen der Besatzung als „Arabische Hure“ beschimpft und mit Worten wie „Einen Strick für die Verräter“ oder „Wir kriegen Dich“ bedroht. (Berliner Zeitung vom 28.05.2002)
Sind jetzt die jüdischen Journalisten auch Antisemiten ?

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